Angedacht

Sun, 11 Dec 2022 09:38:44 +0000 von Anne Mika

© Lego
Der Rücken gekrümmt, der Blick auf die Erde. 
So sehe ich sie auf den Feldern arbeiten. Frauen und Männer mit Hacken in den Händen, die in mühevoller Handarbeit den Boden umpflügen um die neue Saat auszubringen. 
Ich stelle mir vor ich sei einen von ihnen. Würde dort nur einen einzigen Tag mit schaffen. Ich bin mir sicher ich könnte am Ende kaum noch laufen. Mein Rücken schmerzt ja schon, wenn ich nur länger als zwei Stunden auf meinem Bürostuhl sitze. Von harter körperlicher Arbeit in kontinuierlich gebückter Haltung möchte ich da gar nicht reden. 
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ 
(Lukas 21,28)
Ganz klein zusammengerollt liegt sie auf dem Boden, die Hände schützend über dem Kopf. 
Der nächste Schlag kommt bestimmt. Oder der nächste Tritt. Oder die nächste Verhöhnung. 
So erzählen mir viele Frauen von ihren Erlebnissen mit häuslicher Gewalt. Bei manchen ist es Vater oder die Mutter, die zuschlägt. Oft der Ehemann. Bei vielen Dadas der Arbeitgeber. 
Manche Leidensgeschichten gehen über Jahre, open end. Eine Besserung nicht im Ansatz in Sicht. 
Ohnmacht. Wie lange kann man das aushalten? Wie lange ehe man zerbricht? 
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ 
(Lukas 21,28) 
Das Herz rast. Die Röte steht ihm im Gesicht. Die Stimme ist ganz leise. Der Blick gesenkt. 
So steht der Schüler vor dem Lehrer. Er weiß die Antwort nicht. Hat noch nicht einmal die Frage richtig verstanden. Sie war auf Englisch gestellt und das versteht er noch immer nicht perfekt. Jetzt ist er vor der ganzen Klasse bloßgestellt. Der Lehrer fragt unerbittlich weiter, will unbedingt eine Antwort bekommen. Minuten fühlen sich wie Stunden an. Der Schüler zieht sich in sich selber zurück. Ganz klein fühlt er sich. Und dumm. 
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ 
(Lukas 21,28)
Wer braucht eine Aufmunterung und einen Zuspruch? 
Wer hat den Kopf so gesenkt, dass er gar nicht mehr sieht, was um ihn oder sie herum vorgeht? 
Wer sehnt sich nach Erlösung in der heutigen Zeit? 
Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Theologe hat es in einem Brief, den er aus dem Gefängnis an seine Verlobte Maria Wedemeyer schrieb, einmal so formuliert: 
Eine Gefängniszelle, in der man wacht, hofft, dies und das – letztlich Nebensächliches – tut, und in der man ganz darauf angewiesen ist, dass die Tür der Befreiung von außen aufgetan wird, ist gar kein so schlechtes Bild für den Advent.“ 
Wir kennen alle unsere eigenen Gefängnisse. Die Dinge im Leben, die sich stets wiederholen. Die Situationen, wo wir denken, jetzt bin ich schon wieder in dieselbe Falle getappt. Ich hätte es doch wissen müssen. Da spüren wir: Die Tür können wir nicht selbst aufstoßen. Das kann nur einer machen, der von außen kommt. Einer, der Erlösung bringt, was auch immer das für uns heißen mag. 
Das sich Aufrichten und Gliederstrecken nach einem langen, harten Arbeitstag. 
Jemand der sich schützen vor uns stellt, wenn wir Schmerz und Hohn ausgeliefert sind. 
Ein ermunternder Zuspruch, wenn wir uns klein und unzulänglich fühlen. 
Unsere Erlösung kommt in Jesus Christus, unserem Mensch gewordenen Gott. Er bringt uns Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit. Veränderung in der Festgefahrenheit. Kraft und Stärke uns aufzurichten und neu anzufangen. Er kommt um uns aus unseren Gefängnissen zu befreien. Also folgen wir dem Aufruf aus dem Wochenspruch zum 2. Advent: 
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21,28)
Amen. 


Es wünscht euch eine gesegnete Woche, eure Pfarrerin Anne Mika. 
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