Angedacht

Mon, 30 Jan 2023 11:06:53 +0000 von Anne Mika

Recht muss Recht bleiben. 
Da thront sie hoch oben über den Gerichtsgebäuden (zumindest in Deutschland), die Justitia. 
Ihre Augen sind verbunden, denn sie urteilt „ohne Ansehen der Person“. 
Das soll Vetternwirtschaft und Ungleichbehandlung aufgrund des sozialen Status vermeiden. 
In einer Hand hält sie eine Waage, denn „das Urteil muss der Tat angemessen sein“. 
Niemand soll so leicht davon kommen, niemand soll aber auch übermäßig hart bestraft werden. Immer soll die Waage der Gerechtigkeit im Gleichgewicht stehen. 
Mit der anderen Hand umklammert Justitia ein Schwert, denn „jedes Urteil muss auch vollstreckt werden“. Nur so bleibt die Justiz zuverlässig. Nur so lassen sich Recht und Ordnung aufrecht erhalten. Die drei Attribute der Justitia. Augenbinde – Waage – Schwert. Sie machen Sinn. 
Aber, wenn ich ehrlich bin schenken sie mir keinen ausreichenden Seelenfrieden. 
Wie kann ein Richter, der mich nicht sieht, denn über mich urteilen? Eine Geschichte ist doch mehr als nur Zahlen und Fakten in einer Gerichtsakte. Wir Menschen sind Seelenwesen, Gefühlswesen, nicht oder zumindest nur sehr schwer in treffende Worte zu fassen. 
Die neue Jahreslosung lautet: „Du bist ein Gott der mich sieht!“ (Gen 16,13) 
Gott schaut mich an. Er prüft mich auf Herz und Nieren, hat jedes Haar auf meinem Haupt gezählt. So und nicht weniger drastisch drückt es die Bibel aus. 
Gott sieht mich, mit allem was mich ausmacht. Keine noch zu kleine Facette, kein noch zu banaler Lebenszusammenhang bleibt ihm verborgen. 
Die Justitia trägt ihre Waage der Angemessenheit. Jesus erzählt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Kurz zusammengefasst: Die Männer arbeiten an einem Tag unterschiedlich lang. Aber am Ende bekommen sie alle den gleichen Lohn ausbezahlt. Nach menschlichen Maßstäben ist das nicht gerecht. Der Lohn ist nicht in allen Fällen der Arbeit angemessen. Aber in allen Fällen reicht der Lohn um die Familien der Arbeiter daheim für diesen Tag zu ernähren. 
Als Drittes, das Schwert. Durchsetzungskraft. Es braucht eine starke Justiz, die respektiert wird. Das soll potentielle Bösewichte abschrecken etwas Unrechtes zu tun. Das Schwert, es steht auch für Angst. Angst vor Strafe. Lange Zeit, hat es auch die Kirche so verkündigt. Wer sich in der Welt nicht zu benehmen weiß, der/die landet in der Hölle, oder zumindest für einige Zeit im Fegefeuer, ehe die Seele rein genug ist um in den Himmel aufzusteigen. Theologisch steht diese Verkündigung auf wackeligen Füßen. Aber die eigentliche Frage an dieser Stelle muss lauten: „Hat diese Verkündigung die Welt besser gemacht? Gab es weniger Grausamkeit oder gar mehr Frieden auf der Welt?“Die Antwort ist schlicht: „Nein.“ Ein Mensch muss in seinem Innersten verstehen, warum etwas grundfalsch ist um davon abzusehen es zu tun. Um das zu verstehen, braucht es Herzensbildung. Darum ist Gott Mensch geworden. Um uns auszubilden. Er verkündigte uns das Reich Gottes und rief uns in seine Nachfolge. Erinnerte uns an die Bestimmung, die wir schon immer hatten. Sein Ebenbild zu sein. Das fängt im Herzen an. Mit Herzensbildung. Damit wir im rechten Moment erkennen. Was wir tun und was wir lieber bleiben lassen sollten. Nicht aus Angst, sondern aus Verständnis und Vertrauen. Das Evangelium, statt des Schwertes. Martin Luther sprach von zwei Gewalten. Der Staat mit seiner Justitia auf der einen Seite, Gott und sein Evangelium auf der anderen Seite. In einer perfekten Welt, wenn das Himmelreich Wirklichkeit geworden ist, weil alle zu echten Ebenbildern Christi geworden sind, wird es die Justitia nicht mehr brauchen. Bis es soweit ist jedoch, muss sie Wächterin über die weltliche Ordnung bleiben, damit zumindest ein gewisses Maß an Recht und Ordnung gewahrt bleibt. 
Wir jedoch haben die Wahl. Wen erheben wir zu unserem Richter? Halten wir auch mal göttliche Unangemessenheit aus? Schaffen wir es unser Herz zu öffnen für das Evangelium? Ich will es versuchen, denn: 
Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“ (Johannes 1,16)


Es wünscht euch eine gesegnete Woche, eure Pfarrerin Anne Mika. 
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