Angedacht

Mon, 13 Feb 2023 11:10:57 +0000 von Anne Mika

Trümmerberge. Über 20.000 Tote. Kälte. Verzweiflung. Hunger. Schmerz. 
Alles ausgelöst durch ein Erdbeben. Fassungslos starre ich auf den Bildschirm, als über die Situation in der Türkei und in Syrien berichtet wird. Beide Länder sind so oft in den Medien. Meist geht es um Machtmissbrauch, Unterdrückung und Krieg. Menschengemachte Katastrophen. Diesmal nicht. Diesmal hat die Erde gebebt, haben sich Kontinentalplatten verschoben. Da kann kein Mensch was dafür. Die zum Himmel schreiende Frage: Warum nur!? Sie wird unbeantwortet bleiben. Tagelang, Sendung für Sendung. Das Erdbeben. Die Geschichte von Menschen, die alles verloren haben. Von jetzt auf gleich. Die Geschichte von Menschen, die sich abrackern Stunde um Stunde um Menschen aus den Trümmern zu bergen. Mit jedem Tag weniger Hoffnung, dennoch wird nicht aufgegeben. Und immer wieder ein kleines Wunder. Leben wider alle Wahrscheinlichkeit. Viel zu oft Leichenfunde. Bilder die sich einprägen, in die Köpfe, Herzen und Seelen der Menschen vor Ort. 
Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (Jesaja 60,2b) 
Wann, oh wann Gott ist es endlich soweit? Ich frage nicht für mich selbst. Ich frage für all jene, deren ganzes Leben gerade in Trümmern liegt. Aufgrund des Erdbebens oder irgendeiner anderen Katastrophe. Wann wird diese Heilsbotschaft wahr? 
Steh auf, du trauernde Zionsstadt! Lass dein Gesicht hell strahlen, denn dein Licht kommt; Die Herrlicheit des HERRN geht über dir auf wie die Sonne! Auf der ganzen Erde liegt Finsternis, die Völker tappen im Dunkel; doch über dir strahlt dein Gott auf, der Glanz seiner Herrlichkeit geht über dir auf.“ 
So steht es im Buch des Propheten Jesaja nach der Übersetzung der Guten Nachricht Bibel. 
„Steh auf!“, „Strahle!“ 
Mitten in der Katastrophe auch noch Imperative. Befehle. Mach gute Miene zum bösen Spiel. Ich kann verstehen, wenn dass die Betroffenen überfordert. Und doch. Die Menschen stehen auf. Drücken ihre Trauer weg, zumindest für den Moment. Denn noch gibt es was zu tun. Noch sind da Menschen unter den Trümmern. Also stehen die Helfer auf. In der ganzen Welt. Machen sich auf den Weg und an die Arbeit. Räumen Stein um Stein beiseite, oftmals mit den bloßen Händen. Und wenn sie entgegen aller Wahrscheinlichkeit und Hoffnung ein Leben finden, dann strahlen sie, singen, lachen, fallen sich in die Arme. Denn die Trauer lähmt und blockiert. Sie macht die Welt nicht heller, sondern dunkler. Aber das Strahlen, und wenn es nur für einen winzigen Moment ist, das Stahlen wärmt und schenkt Kraft für die nächsten verzweifelten Stunden. 
Auf der ganzen Erde liegt Finsternis, die Völker tappen im Dunkel; doch über dir strahlt dein Gott auf, der Glanz seiner Herrlichkeit geht über dir auf.“ 
Es mag wie Hohn klingen. Der Welt geht es beschissen und Gott strahlt. Dieses Strahlen jedoch ist pures Leben, dass Gott nicht für sich behält, sondern mit uns teilt. Er pflanzt es tief in uns ein, macht es zu einem Teil von sich in uns. Und in unseren dunkelsten Stunden bricht es aus uns heraus macht uns zu Überlebenden, Kämpfer*innen für das Leben und manchmal zu Lebensrettern. Es macht uns zu Nachfolger*innen Christi. Aus vollem Herzen bete ich, lass dieses Licht nicht verlöschen Gott, in all den Held*innen, die jetzt im Rausch der Situation und vollgepumpt mit Adrenalin um jedes Leben kämpfen. Lass es nicht verlöschen, wenn irgendwann die Ruhe kommt. Die Ruhe, in der die beiseite geschobenen Trauer sich gnadenlos ins Bewusstsein drängt. Die Ruhe, in der das Lachen der Verstorbenen so sehr fehlt, dass die Seele schmerzt. Wie ein Mantra bete ich diesen Held*innen zu, damit sie es fühlen können und niemals vergessen: 
Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ 
In dir ist Leben, in dir ist Licht, in dir ist der HERR. Amen. 


Es wünscht euch eine gesegnete Woche, eure Pfarrerin Anne Mika. 
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