Angedacht

Tue, 06 Sep 2022 10:06:19 +0000 von Anne Mika

© Anne Mika
Als ich ein Kind war, bin ich einmal auf einen Baum geklettert. Er stand über den Dorfbach geneigt auf dem alten Spielplatz in meinem Heimatdorf. Unzählige Kinder hatte ich dort schon hinaufsteigen und wieder herunterkommen sehen. Es sah ganz leicht aus. Der Baum war wirklich optimal geeignet zum Klettern. Viele stabile Astgabeln in guten Abständen, sodass sie für Kinderhände gut zu erreichen sind. 
An diesem Tag war ich mit meiner Freundin Theresa zum Bach gekommen um Kaulquappen zu sammeln. Soviel weiß ich noch. 
Warum ich am Ende in der Baumkrone saß weiß ich dagegen nicht mehr. 
Der Aufstieg hatte gut geklappt. Es war wirklich nicht schwer und ging auch ganz schnell. 
Oben angekommen war ich richtig stolz auf mich. Jetzt gehörte ich endgültig zu den großen Kindern! Einen Moment lang genoss ich das tolle Gefühl und den Ausblick über die Rapsfelder auf der anderen Seite des Baches. 
Dann rief uns Theresas Mutter zum Mittagessen. 
Schon bei der ersten Bewegung in Richtung unten merkte ich, dass etwas nicht stimmte. 
Die nächste Astgabel, schien viel zu weit weg zu sein um sie von meiner Position aus sicher zu erreichen! Ich bekam richtig Angst. Keine Chance, dass ich hier jemals wieder runter kam. 
Theresa stand unten und blickte zu mir hoch. „Kommst du?“, fragte sie nur. 
„Ich kann nicht!“, war meine Antwort. Da lief Theresa weg. 
Mein Herz begann wie wild zu klopfen. Jetzt war ich auch noch ganz alleine. 
Da hörte ich Stimmen und Fußgetrappel. 
Theresa rannte über den Spielplatz auf mich zu, ihre Mutter im Laufschritt hinter ihr her. 
Das nächste woran ich mich erinnere ist, dass Theresas Mutter neben mir auf dem Baum steht. Mit ihrer Hand stärkt sie mir den Rücken und spricht dabei beruhigend auf mich ein. Klettern muss ich selber. Aber nun ist jeder Schritt begleitet von einem guten Zuspruch. „Du kannst das!“ 
Stück für Stück geht es nach unten. Und dann ist es geschafft. 
Bei meinem letzten Besuch in Deutschland besuchte ich den alten Spielplatz am Dorfbach. Der Baum stand nicht mehr dort. Er wurde gefällt. Aber die Erinnerung war sofort wieder in meinem Kopf. Dieses Hochgefühl dort oben zu sitzen und dann die Angst. 
Der Baum hat mir beigebracht Dinge bis zum Schluss zu durchdenken. Mir gut zu überlegen, in welche Situationen ich mich hineinbegebe. Mich nicht zu überschätzen oder zu behaupten ich könnte etwas, nur um anderen zu gefallen. 
Der Baum hat mich Demut gelehrt. 
Demut und Vertrauen. 
Denn da kam jemand und hat mich gerettet. Hat mir den Rücken gestärkt und mir zugesprochen: „Du kannst das!“ 
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 
So lautet der Spruch für diese Woche aus dem Petrusbrief in Kapitel 5 Vers 5. 
Im Volksmund heißt es: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ 
Gott sagt uns: Erkennst du deinen Fehler, egal wie spät, dann fange ich dich auf! 
Es ist nie zu spät! 
Nicht einmal für den Verbrecher, der neben Jesus am Kreuz hängt. Er erkennt seine Fehler, bereut und erfährt Gnade. 
Gott widersteht den Hochmütigen, solange sie hochmütig sind. 
Sobald eine/r umkehrt und Demut an den Tag legt, gewährt Gott Gnade. 
Amen. 


Eine gesegnete Woche, wünscht euch eure Pfarrerin Anne Mika. 
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