Angedacht

Fri, 28 Oct 2022 07:19:23 +0000 von Anne Mika

© Anne Mika
Geschwister. 
Meist gehören sie zu den Menschen in unserem Leben, die uns am längsten kennen. 
Oft wachsen sie in einem identischen Umfeld auf wie wir. Genießen die gleiche Erziehung. 
Werden geprägt von den gleichen frühen Bezugspersonen. 
Man sollte doch meinen, dies sei ein Rezept für ein inniges Verstehen unter Geschwistern. 
Für zumindest ähnliche Weltanschauungen und Verhaltensmuster. 
Sollte man doch meinen. 
Aber: Wenn ich auf die Seelsorgesituationen in meiner zugegeben noch immer recht jungen Pfarrerinnenkarriere zurückblicke, dann fällt auf. Sehr sehr viele Konflikte spielen sich zwischen Geschwistern ab. 
Wie schon festgestellt, Geschwister gehören meist zu den Menschen, die uns am längsten kennen. Das heißt auch, dass sie uns als hilflose Kinder oder als zügellose Teenager erlebt haben. Sie haben uns gesehen, wenn wir elend und krank und schwach waren. Sie haben uns wüten und boshaft reden und Türen schlagen sehen. Geschwister kennen uns so lange und so intensiv, dass sie uns oft nicht mehr neu und unvoreingenommen als der Person begegnen können zu der wir geworden sind. 
Selbst Geschwistern, deren Beziehung von Liebe getragen ist gelingt es nicht immer sich mit Respekt zu begegnen. Weil sie im Gegenüber immer noch das Kind sehen mit dem sie aufgewachsen sind. Oder weil sie sich gegenseitig erinnern an die Momente der eigenen Schwäche und des vollpubertären Gehabes. 
Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“ 
So lautet der Spruch für die vergangene Woche aus dem 1. Johannesbrief 4,21. 
Wer Gott liebt, der/die muss auch seine Geschwister lieben. 
Nein, das ist nicht einfach eine Umformulierung des Gebotes: Liebe deinen Nächsten. 
Seinen Nächsten zu lieben ist oft einfacher als sein Geschwister zu lieben. Die Nächste, das kann auch eine völlig unbekannte Person sein, der ich zufällig über den Weg laufe. Da gibt es keine gemeinsame Vorgeschichte, keine alten Verletzungen und Enttäuschungen. Zu meinem Nächsten habe ich oft einen wohltuenden persönlichen Abstand. 
Mein Geschwister hingegen. Da bin ich ganz nah dran. Das macht es so schwer. 
Aber wer Gott liebt, der/die muss auch seine Geschwister lieben. 
Warum? Weil alles andere uns direkt ins Verderben führt. Streit frisst uns auf. Wenn wir es nicht schaffen alte Probleme und Verletzungen los zu lassen, dann holen sie uns immer wieder ein. Machen uns immer wieder klein und schwach und hilflos. Geschwister sind ein Teil unserer Vergangenheit. Wenn wir mit unserer Vergangenheit keinen Frieden schließen, dann werden wir auch in der Gegenwart und in der Zukunft keinen Frieden finden. 
Gott kennt uns noch länger als unsere Geschwister. Er hat jeden unserer Atemzüge begleitet, jeden unserer Fehltritte gesehen alle unsere Freuden geteilt. Gott kennt uns besser als jede andere. In Jesus Christus ist er Mensch geworden, liebt uns, vergibt uns und zeigt uns den Weg zum wahren Leben. Nennt sich unser Bruder. 
Wer Gott liebt, der/die muss auch seine Geschwister lieben, ihnen vergeben und ihnen gönnen, dass auch sie den Weg zum wahren Leben gehen. 
Von Manchen und in gewissen Situationen ist das echt viel verlangt. Aber Gott will alle Menschen retten. Er sagt uns: Das Himmelreich kann nur kommen, wenn alle mithelfen. Auch die, die uns verletzt haben oder die uns ein Gefühl der Unzulänglichkeit geben. Jesus ist für uns alle gestorben. Diese Liebe anzunehmen heißt sie weiterzugeben. Auch an unsere Geschwister. 
Amen. 


Es wünscht euch eine gesegnete Woche, eure Pfarrerin Anne Mika. 
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